Karl steht in seiner Küche und sortiert alte Unterlagen. Er räumt nicht, weil er ausziehen will, sondern weil er bleiben möchte. Der über 80-Jährige lebt allein in einem Haus im oberösterreichischen Gallneukirchen, umgeben von Wäldern, Erinnerungen und einer klaren Entscheidung: Er will so lange wie möglich selbstbestimmt leben – mit Würde, mit Alltag und einer Tasse Kaffee am eigenen Tisch zu Hause.
Karl ist Tierarzt im Ruhestand, ein Mann mit klaren Vorstellungen. Und er ist mehr als nur ein älterer Mensch mit einem Wunsch. Für eine Gruppe Studierender der Technischen Hochschule Ingolstadt wurde er zum Ausgangspunkt eines preisgekrönten Projekts. Denn Karl ist, was Fachleute einen „Lead
User“ nennen – jemand, der Herausforderungen früher erlebt als andere und so zum Wegbereiter alltagstauglicher Ideen für die Pflege wurde. Über 30 Jahre tüftelte er daran – erst für seine Schwiegermutter, dann für seine Frau.
Im Rahmen einer intensiven Projektwoche während des Pflichtpraktikums beschäftigten sich Studierende aus dem Technischem Design und dem Wirtschaftsingenieurwesen mit zentralen Fragen: Wie wollen wir im Alter leben? Wie lassen sich Pflege und Privatsphäre verbinden, ohne dass das Zuhause sich wie ein Krankenhaus anfühlt?
Das Ergebnis ist ein Möbelstück, das weit mehr ist als ein Bett – eher eine Art Raum im Raum. Es trägt den Namen „Kaiser Karl III.“ – zu Ehren des Mannes, dessen Leben es inspiriert hat. Entwickelt wurde es von einem interdisziplinären Team, das dafür bereits vom Förderverein der Hochschule ausgezeichnet wurde. Das Wohnbett ist mobil, anpassbar, bietet Stauraum, Struktur und Rückzug – und fügt sich unaufdringlich in jedes Zuhause ein. Gleichzeitig ist es so gestaltet, dass es auch in Notunterkünften eingesetzt werden kann, etwa nach Naturkatastrophen oder in Flüchtlingssituationen.
Für die Studierenden war das Projekt mehr als nur ein Pflichttermin im Stundenplan. Die Designstudentin Maria Reichelt erinnert sich: „Unser Professor zeigte uns die Bevölkerungspyramide Mitteleuropas. Dann haben wir Karls Geschichte gesehen – wie er lebt, wie er denkt. Plötzlich war das nicht mehr nur ein Projekt, sondern etwas Persönliches. Ich wollte etwas gestalten, das ihm wirklich helfen könnte. Etwas, das nach Zuhause aussieht, nicht nach Pflege.“
Begleitet wurden die Teams von Professor Bernhard Rothbucher, Studiengangleiter für Design Leadership. Er hatte Karl vor seiner Lehrtätigkeit als Leiter der mehrfach ausgezeichneten Salzburger Agentur Synowaytion kennengelernt. Seit Jahren beschäftigt er sich mit den Potenzialen des Alterns und der Rolle von Gestaltung in sozialen Fragen. „Design bedeutet Verantwortung“, sagt er. „Wenn es gelingt, durch ein Möbel Lebensqualität zu schaffen, zeigen wir, was Gestaltung gesellschaftlich leisten kann.“
Die Präsentation der fertigen Konzepte fand vor großem Publikum in der Aula der Hochschule statt – und erntete nicht nur Applaus, sondern echtes Interesse. Erste Gespräche mit Hilfsorganisationen laufen bereits. Marias Team wurde außerdem in die Endrunde des Social Impact Awards Germany 2025 aufgenommen. Der Pitch vor Jury und Publikum findet im Herbst in Berlin statt.
Wer mehr über die Hintergründe, Karls Geschichte und den Entstehungsprozess erfahren möchte, kann das bereits jetzt in einer Podcast-Folge nachhören: https://www.thi.de/hochschule/aktuelles/podcast/
Und Karl? Er hat sich gefreut, dass aus seiner Lebensgeschichte etwas Neues entstehen konnte. Er selbst wird nie in einem dieser Betten liegen. Aber er hat geholfen, dass viele andere es können – mit Würde, mit Selbstbestimmung. Und mit einem Gefühl von Zuhause.