Sicheres automatisiertes Fahren bei allen Witterungsbedingungen

Crash mit vorausschauender Sensorik - Auslösung Sicherheitssysteme vor dem Aufprall. Quelle: THI

Fahrversuch bei Nebel in der CARISSMA Testhalle (Quelle: THI)

Fahrversuch zur Fußgängererkennung auf dem Outdoor-Testgelände von CARISSMA (Quelle: THI)

Fahrversuch bei Regen in der CARISSMA-Testhalle (Quelle: THI)

Forschungs- und Testzentrum CARISSMA der Technischen Hochschule Ingolstadt stellt auf der IAA aktuelle Projekte und die Testanlagen der Zukunft vor

Wer bei plötzlich auftretendem Nebel und Regen schon einmal auf der Straße unterwegs war, der weiß, welch hohes Sicherheitsrisiko die eingeschränkte Sicht birgt. Sensoren versprechen insbesondere beim automatisierten Fahren einen besseren Schutz für den Menschen. Wie automatisiertes Fahren in Zukunft unter kritischen Witterungsbedingungen noch sicherer werden kann, daran arbeitet das Forschungs- und Testzentrum CARISSMA der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI). Auf der IAA präsentiert es dazu einen ganzheitlichen Ansatz.

Testverfahren mit authentischem Nebel

Unter freiem Himmel ändern sich die Witterungsbedingungen kontinuierlich, was das Testen von sicherheitsrelevanten Systemen deutlich erschwert. Wissenschaftler des Forschungs- und Testzentrums CARISSMA haben in ihrer Indoor-Versuchshalle für automatisierte Fahrversuche (100 x 30 Meter) auf dem Campus der THI eine Wetteranlage entwickelt, die es ermöglicht, realitätsgetreuen Nebel und Regen zu erzeugen und damit reproduzierbare Sensor- und Systemvalidierungen durchführen zu können – auch in Kombination mit unterschiedlichen Lichtverhältnissen. Dazu haben die Forscher in der Natur vorkommenden Nebel und Regen vermessen und mit den exakt gleichen Charakteristika (Tröpfchengröße, -dichte, -verteilung etc.) nachgebildet. So können bei Indoor-Fahrversuchen authentische Witterungsbedingungen beliebig oft nachgestellt werden.

Vorausschauende Gefahrenerkennung (Pre-Crash)

In autonomen Fahrzeugen können Insassen künftig variable Sitzpositionen einnehmen, Elektro-Leichtfahrzeuge werden eine kleinere Knautschzone haben. Diese Rahmenbedingungen erfordern Lösungen für Auslöseverhalten und Schnelligkeit von Schutzsystemen. Das vorausschauende Crasherkennungssystem SAFE, das Wissenschaftler des Forschungs- und Testzentrums CARISSMA gemeinsam mit Continental entwickelt haben, kann Unfälle vor dem Kontakt mit dem Unfallpartner erkennen und so wertvolle, oftmals entscheidende Milli-Sekunden für die Aktivierung der Sicherheitssysteme vor dem Aufprall gewinnen. Dazu müssen Sensordaten schneller abgetastet, neue Fahrdynamikmodelle (z.B. Schleudern vor einem Crash oder Rollover) integriert und eine hohe Robustheit gegen Umwelteinflüsse, wie z.B. Nebel, sichergestellt werden.

Vorausschauende Fahrzeugsicherheitssysteme wie SAFE sind zwingend notwendig für die Einführung hochautomatisierter Fahrfunktionen oder autonomen Fahrens, da hier die Verantwortung für den sicheren Fahrbetrieb vom Fahrer auf das Fahrzeug bzw. dessen Hersteller übergeht. Hierfür ist die nächste Stufe von SAFE Voraussetzung: Hier erkennt das System ohne zusätzlichen Berührungssensor einen Crash bereits deutlich vor dem Aufprall.

Simulation von Regen und Nebel im Labor

Witterung ist nicht nur in realen Fahrversuchen darstellbar. Im HiL-Labor (HiL = Hardware in the Loop) von CARISSMA können Forscher Witterungsbedingungen unter reproduzierbaren Bedingungen simulativ nachbilden. Durch beliebig wiederholbare Abläufe lässt sich so die Zuverlässigkeit von Sensoren bei verschiedensten Witterungseinflüssen oder Verkehrsszenarien testen. Damit können in einem sicheren Umfeld insbesondere auch kritische Situationen sowie die Grenzen der jeweiligen Sensorsysteme getestet bzw. ermittelt werden.

Vertrauen in die Sicherheit automatisierter Fahrzeugfunktionen

Sensorik im Fahrzeug erkennt Objekte auch durch den Nebel hindurch, das menschliche Auge jedoch nicht. Daher fühlen sich Passagiere schnell unwohl, wenn für sie nicht ersichtlich ist, wohin ihr automatisiertes Fahrzeug steuert bzw. warum es welche Entscheidungen trifft. Wissenschaftler des Forschungs- und Testzentrums CARISSMA erforschen die Interaktion zwischen Mensch und Maschine und damit auch die Akzeptanz des Menschen in automatisierte Fahrzeuge. Als Lösung zur Erhöhung von Vertrauen in das Fahrzeug schlägt das Team vor, mit Hilfe von Augmented Reality den Passagieren als Überlagerung (Overlay) in der Windschutzscheibe anzuzeigen, welche Objekte das Fahrzeug durch Regen/Nebel hindurch erkennt und warum es beschleunigt, bremst oder die Spur wechselt. So soll die Forschung dabei helfen, dass sichere Technologien auch auf Akzeptanz treffen und verwendet werden.

Einsatz Künstlicher Intelligenz in sicherheitskritischen Anwendungen

Ebenso wie der Mensch lernen automatisierte Fahrzeuge und Testsysteme, mit Hilfe künstlicher Intelligenz kritische Situationen zu erkennen und unfallvermeidende Maßnahmen einzuleiten. CARISSMA forscht gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum für Künstliche Intelligenz AININ mit Sitz an der THI an neuartigen Algorithmen und Methoden für die effiziente Implementierung und Nachvollziehbarkeit selbstlernender Systeme. Der Entwurf und die Validierung von sicheren maschinellen Lernverfahren sind eine Voraussetzung für den Einsatz Künstlicher Intelligenz in sicherheitskritischen Anwendungen, wie dem autonomen Fahren.

Über CARISSMA

Das Forschungs- und Testzentrum CARISSMA der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI) wird als wissenschaftliches Leitzentrum für Fahrzeugsicherheit in Deutschland etabliert. CARISSMA steht für Center of Automotive Research on Integrated Safety Systems and Measurement Area. Ziel der Einrichtung ist es, über angewandte Forschung einen Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit im In- und Ausland zu leisten. Hierbei arbeitet CARISSMA mit Automobilherstellern, Wissenschaftlern und Forschungseinrichtungen aus aller Welt zusammen. Die interdisziplinär arbeitenden Wissenschaftler stellen sich mit ihren Forschungsprojekten fächerübergreifend der gesellschaftlichen Herausforderung „Vision Zero“ – dem Fernziel von null Verkehrstoten.

CARISSMA hat 2016 seinen Betrieb aufgenommen und ist ein Novum in der deutschen Wissenschaftslandschaft: Es ist bundesweit der erste Forschungsbau an einer Fachhochschule. Er verfügt über zehn hochmoderne Versuchsanlagen: eine Indoor-Testanlage für Crash- und ADAS-Versuche, ein Outdoor-Testgelände für integrale Sicherheitssysteme, ein Batterielabor, ein Car2X-Labor, ein HiL-Labor, ein Simulationslabor, einen Fahrsimulator mit Bewegungsplattform, einen Fallturm sowie Anlagen für Abuse-Versuche von Batterien und Mobile Roboter. Insgesamt umfasst CARISSMA 13 Professoren mit 80 Mitarbeitern und ein Projektvolumen von rund 6 M-€ p.a.

Über die Technische Hochschule Ingolstadt (THI)


Die Technische Hochschule Ingolstadt (THI) ist eine der forschungsstärksten Fachhochschulen in Deutschland. Mit einem Forschungsvolumen von jährlich 15 Mio. Euro investiert sie rund ein Drittel des Gesamtbudgets in die angewandte Forschung. In diesem Bereich sind rund 60 stark forschungsaktive Professoren und 150 wissenschaftliche Mitarbeiter angesiedelt. Die 5.850 Studierenden der THI werden in rund 60 Studiengängen in den Bereichen Technik und Wirtschaft praxisnah ausgebildet. Gemäß dem Selbstverständnis der THI als Mobilitätshochschule ist ein Drittel der Studiengänge auf die Themen Automotive und Luftfahrt zugeschnitten. Ein besonderer Fokus der THI liegt auf den zentralen Querschnittsthemen Digitalisierung, Internationalisierung, Unternehmertum und Nachhaltigkeit.